Schweden quer  -  im Traumsommer

 

Dag, der Germanist, hatte ein GPS gekauft. Ich hatte das etwas übertrieben gefunden. Aber deshalb waren nun die schwedischen Schären in unser Blickfeld gerückt. Und wir haben sogar einen alten Laptop dabei, der in einem früheren Leben von GL-Ingenieuren kreuz und quer über den Globus gehetzt wurde, nun aber Ruhe gefunden hat als Navigationsgerät auf einem rostfreien Schwenkarm. Der Segelmacher kommt mit der neuen Sprayhood. „Sie werden sich wundern wie angenehm das ist“. 35 Jahre ging es auch ohne.

 

Also, nun los! In Spodsbjerg treffen wir auf eine gerade aus Schweden zurückkehrende Charter­crew, deren charmantes Mitglied ihre filzige, Korkenziehermähne schwenkt, über den Steg kommt und uns erzählt wie schwierig die Schären­navi­gation sei. Wir taufen sie Fitzliputzli und segeln mit starkem Schiebewind durch Smålands­havet und Bøge­strøm davon.

 

An der Südküste

 

Eine Nacht in Rødvig und es geht „rüber“. Es ist fast wie Fliegen, gerefft vor dem Wind. Irgend­wann kommt Trelleborg auf, leicht zu erkennen an der Prozession von Fährschiffen, die vor dem Hafen ihre eigenwilligen Drehmanöver vorführen. Wir verstecken uns lieber hinter einer kleinen Hafenmole ein paar Meilen weiter ostwärts. Hier faulenzen wir am nächsten Tag und sehen zu wie die Gischt an der Mole hochschießt und in den Hafen weht. Nur ein dänisches Boot torkelt noch herein.

 

Mit freundlichem Wetter segeln wir später an Ystad vorbei, wo schwedische TV-Krimis spielen, und nach einem Halt in Simrishamn um die Ecke von Sandhammaren zur Insel Hanö. - Insel? Für uns war Insel bisher etwas mit Strand und Ackerland. Aber hier ist Insel Fels und etwas Gras. Bäume gibt es auch, nur etwas krüppelig. Würden wir von Sandhammaren 20 sm nach Ost steuern würden wir auf Bornholm landen, aber Bornholm ignorieren wir diesmal.

 

Hanö Bucht

 

Im kleinen Hafen der Insel Hanö liegen längsseits zwei nette Kinder mit einem ­verträumten Vater aus Kappeln. Er erklärt seine seltsame, senk­rechte Pinne, die einem Tennisschläger ähnelt und wie ein kopf­stehendes Pendel arbeitet. Er wundert sich selbst darüber. Dann erklärt er, er müsse leider um­dre­hen. Warum? Die unsicht­bare Frau will warmen Strand und hier gibt es gerade nur kühle Felsen. Mit schuld ist ein Thermometer in der Kajüte, worauf sie ablesen kann wie kalt das Seewasser ist. Schade, dass sie nicht ahnt, dass wenige Tage später hier ein wunderbar warmer Schweden­sommer anbricht. Das ist schon die zweite unsichtbare Frau auf unserer Fahrt, deren Mann und Kinder aber sichtbar und voller Leben sind.

 

An unserer anderen Seite liegt ein älteres Ossi-Paar und redet so, daß sogar Dag meint, die hätten wohl noch rote Socken im Schrank. Die liebens­werten Kinder erzählen dagegen vom „Troll-Merkmal“ nahe dem Leuchtturm und von der riesigen Frau, die vor langer Zeit auf Hanö wohnte und sich einsam fühlte. Um an Land zu kommen, wollte sie eine Stein­brücke zum Festland bauen, sammelte große Steine in ihre riesige Schürze, verlor den Halt und alle Steine landeten vor der Insel im Wasser. Das ist nun Bönsäcken, die Geröllzunge im Norden von Hanö.
Hanö ist seit 1759 Privateigentum, war aber 1810 bis 1812 Hauptquartier der Englischen Flotte, wovon ein kleiner Friedhof zeugt.

 

 

Karlskrona

 

Am Morgen passieren wir bei stillem Wetter die Tonne „Ytterknuven“ vor Karlskrona. Das Seegebiet soll bei Seenebel mit manchmal unangenehmen Seegängen auch gefährlich sein. In den Schären vor Karlskrona entsteht Binnengefühl. Man könnte die Seereling abbauen. Die ganze Gegend scheint durch die Jahrhunderte mit Verteidigungsein­richtungen versehen worden zu sein – kurios der winzige Rundhamnen bei Kungsholms Fort.

Man um­segelt kurz vor Karlskrona einen frei im Wasser stehenden, festungs­artigen Rundbau (kann auch 6-eckig sein) mit Schießscharten und flachem Dachkegel, der wohl eine kleine Schäre unter sich begräbt. Angeblich ist es ein fyrtornet Im Karlskrona Guiden fand sich das Ding unter der Überschrift „Godnatt“ – Gute Nacht, was wir schon für eine nette Anspielung auf die vielen Schießscharten hielten. Aber es bezieht sich wohl auf ganz friedliche Abendveranstaltungen, die dort manchmal stattfinden.

 

In Karlskrona, das auf 33 Inseln oder Schären liegt, hat der berühmte Fredrik Henrik af Chapman zur Zeit von Gustav III seine Schiffe gezeichnet. Auf einem Hügel mitten in der Stadt steht Långläpp (Lange Lippe) wie Karl XI, der 1680 Karlskrona gründete, seit Nils Holgersson heißt.

 

Wie er da so selbstherrlich, aber nicht unsympathisch steht, könnte er gut ein „abgefahrener Typ“ von heute sein. Auf seiner Piazza umgeben ihn historische Bauten, unter sich hat er einen vernagelten Straßen­bahn­tunnel, der sich in einen botanischen Garten verwandelt hat.

 

Die blonde Schwedin in der Hafen-Pizzeria spricht italienisch und so führen wir unser angestaubtes Strand- und Opern-Italienisch ins Feld. Doch dann kaufen wir „Lilla Tyska“, ein „Svensk-Tysk Ordbok med 33000 uppslagsord och fraser“. Achtung: å, ä, ö folgen erst auf z. Bald zeigt sich aber, dass einfach alle, auch die Supermarktmädchen, gut Englisch sprechen.

 

Kalmar Sund

 

Eine verschlungene Fahrt führt uns durch eine sonnige Segellandschaft, in der man leicht mehr Tage verbringen könnte, zum Kalmarsund. Draußen, nach Norden zu, ist es diesig. Boote tauchen plötzlich aus dem Nebel vor uns auf. Aber mit uns segelt das sichtige Sonnenwetter nordwärts. Segler in Kalmar erzählen uns, dass sie nur Nebel hatten. Ja, wer zu früh kommt, den bestraft das Leben!

 

Die Pier in Kalmar hat in der Abendsonne medi­terranes Flair mit Steg-Cafés und Square Dance Szene. Ein großer Tanz­mei­ster kommandiert fast pausenlos die „boys“ und „girls“. Erstaunlicher­weise kommen diese durchaus reiferen Jahrgänge immer sofort damit klar.

 

Das Kalmar Slott bietet von See aus eine imposante Kulisse. Inner­halb der Wälle findet sich eine Theater­bühne, die an Shake­speare oder „Kinder des Olymp“ denken lässt.

Bei Kurs auf Öland fällt die weithin sichtbare alte Slottsruin oberhalb von Borgholm auf. Es sind gewaltige, leere Mauern einer einst wichti­gen Festung, die abwechselnd von Schweden, Dänen und Deutschen eingenommen wurde.

 

Nicht weit davon liegt im Wald die Sommerresidenz der schwedischen Königs­familie. Unten am Ufer sieht man so etwas wie ein königliches Bahehaus. Am Hafen ist Volks­fest­ge­tüm­mel mit Karussells, Himmels­schleu­der, allerhand Buden und vielen Mädchen. Abends gibt es Open Air Disco. Auch als wir am nächsten Tag auf dem Weg nach Norden von Borgholm schon nichts mehr sehen, bleibt das Wummern des wieder erwach­ten Volksfestes noch lange fühlbar.


 

In den Schären der Ostküste

 

Vorbei an der sagenum­wo­benen Blå Jungfrun, einem auffälligen Fels­buckel mitten im Sund, machen wir uns auf in das große Schärengebiet der schwedischen Ostküste und erreichen nach langer verschlun­gener Einfahrt im Abendschimmer Klintemala. Als letzte binden wir unsere Nase an einen kleinen Steg in der verwun­schenen Bucht. Auch im Schärenwald meint man durch eine Märchenwelt zu steigen.

 

Aber wenn auf dem Nachbarboot Vater und Sohn am Laptop die Route für den nächsten Tag diskutieren, verfliegen Gedanken an Trolle und Berggeister.

 

Am Morgen beim späten Frühstück sind wir schon wieder ganz allein am Steg. In der Bucht umkreisen uns fischende Seeschwalben.

 

Auf der Seekarte findet man zwischen den Schär­en immer schwarze Leit­linien wie Straßen­bahn­schienen, auf denen man sicher segeln kann. Mit GPS und Laptop kann man sich aber auch anders­wo leicht durch­schlängeln.

 

Beim virtu­ellen Segeln auf dem Bildschirm fingert dem Boots-Symbol immer ein Kursstrich voran, dessen Länge die aktuelle Geschwindigkeit anzeigt.

 

In einem kleinen Schärenhafen sagt man uns, dass hier nur Fischer festmachen. Aber die alte Netzflickerin vor der Holzhütte empfängt uns liebenswürdig und nimmt nur geringe hamn afgivt.

 

In Fyrudden, unserem nächsten Hafen mit Landverbindung ist dagegen viel Betrieb mit Schiffshändler, Tankstelle, Fischbude, etc. Ständig kommen und gehen allerhand Boote und kleine Inselfähren.

 

Wir sehen eine Frau mit Tasche vom Bus zur Pier rennen, während von draußen ein schnelles Boot hereinrauscht. Beim Aufstoppen versinkt es fast im eigenen Schwell. Sie springt hinein; sofort brausen sie wieder los und verschwinden irgendwo zwischen den waldigen Schären. Es könnte eine Hebamme oder Ärztin gewesen sein.

 

Wir kaufen einen Schären­nagel mit „Nasenring“. Kurz darauf machen wir damit zur Nacht fest an einer Schäre mit dem seltsamen Namen Långa Missjö. Hier herrscht völlige Stille und Einsamkeit, abgesehen von den vielen, geschäftigen Ameisen. Das Wasser ist sehr klar. Springende kleine Fische ziehen in Schwärmen vorbei.

 

Auf den Geschmack gekommen ziehen wir am nächsten Tag abseits der eingezeichneten Tracks durch verlassene Wasser des Skärgård. Inzwischen sind auch viele schwedische Feriensegler unterwegs, aber fast alle „linientreu“. In sengender Sonne baden wir an einer Mini­schäre, die aus­sieht wie im Inselwitz. Von dort nehmen wir Kurs auf Mem, das Tor zum Göta Kanal. So segeln wir bald sanft vor dem Wind zwischen schilfreichen Ufern entlang. Es könnte auch im Havelland sein, wären da nicht auch hier und da Felswände am Ufer. In Stegeborg, unterhalb einer alten Burgruine bei einer Seilfähre spielt eine schauerliche Feuerwehrband. Sie spielt schauerlich und sieht auch so aus. Auf der Wiese stehen WC-Häus­chen herum, die ungefähr so mittelalterlich wirken wie der Burgturm, der hier die Landschaft überragt.

Göta Kanal

 

In der Schleusenbude von Mem zückt Dag heldenmütig seine EC Karte, um 2400 SEK für den schönen blau­gelben Kleber der Göta Kanal Gesellschaft locker zu machen. Das ist dann aber auch ein Freibrief für den halben Segelsommer. Der Chef vom Dienst, ein schwedischer Student, meint auf die Frage nach Kanalvorschriften ganz cool: Wenn die Schleuse aufgeht, fahrt ihr rein – was sonst? Dann erzählt er, dass er in der Schule im deutschen Rattenfängerstück den Bürger­meister von Hameln gespielt habe. (Das Stichwort „Hameln“ hatte er auf Dags EC Karte gelesen).

 

Beim Schleusen gibt es hier und auch später nie irgendein Problem. Unser frisch gezimmertes Schleusenbrett brauchen wir nie. An anderen Booten sehen wir ab und zu ganz wunderbar lackierte Schleusenbretter aus Tropenholz ohne irgendeine Schramme.

 

Das Wasserstraßensystem quer durch Südschweden von Mem bis Göteborg ist ungefähr 400km lang. Von der schwedischen Ostküste bis zum Vänern heißt es Göta Kanal. Vom Vänern zum Kattegat heißt es Trollhätte Kanal, obwohl das Gewässer hier der Göta Älv ist, an dem ja auch Göta und Göteborg liegen – logisch, nicht?

 

Im Göta Kanal hat man eine Wassertiefe von 2.82m, im Trollhätte Kanal von 4.7m. Die Durchfahrts­höhe beträgt 22m. Unsereins kommt also überall gut durch. Man braucht auch keinen Boots­führerschein (unter 12m). Alles geht ohne viel Regeln, bei den Schiebe-, Dreh-, Klapp- oder Hub-Brücken meist wie von Geisterhand. Fast alle sind fernbedient und kamera­über­wacht.


Mit 64 Schleusen steigt man nach und nach bis auf 92m über den Meeresspiegel und wieder hinunter. 58 Schleusen mit kaum mehr als 3m Hub gehören zum Göta Kanal, die restlichen, viel jüngeren Schleusen, mit über 6m Hub, zum Trollhätte Kanal. Mit dem Schleusenbau bei Trollhättan im Göta Älv fing alles an. Man begann 1607, wurde aber erst um 1800 fertig. 1806 plante dann Baltzar von Platen als Fortsetzung nach Osten den Göta Kanal vom Vänern zur Ostküste. Er hatte zuvor am Bau des Eider-Kanals mitgewirkt. 1810 fing man an und 1832 war auch der letzte Abschnitt von Söderköping nach Mem fertig.

Bis Mem sind wir ca. 530 sm geschippert in gut zwei Wochen, ganz nett für so ein behäbiges Boot! Aber nun Fender raus und in die Schleuse. Sie hat 3 m Hub. Kurze Kanal­fahrt bringt uns in den „Binnenhafen“ Söderköping, wo viel Betrieb ist - nicht nur durch viele Yachten an der langen Kanalpier sondern auch durch allerlei Landtouristen. Ich hantiere noch mit den Festmachern, da beugt sich ein unver­schämt schönes Mädchen herüber und drückt mir eine Einladung in die Hand (Pizzeria). Ich will Dag rufen, doch sie ist schon ver­schwunden. Am Stadtufer zieht sich eine Kette von Restaurants und Läden entlang. Wir meiden den Trubel und finden ein sonniges Vorgärtchen im Städtchen mit chinesischem Essen (nicht die Pizzeria).

 

Die meisten Schleusen des Göta Kanals werden hydraulisch betrieben und der Schleusen­wart – häufig eine Studentin – muss nur ein paar Knöpfe drücken. Aber es gibt auch Schleusen, bei denen alles noch mit der Hand gemacht werden muss. Besonders das Drehen der Schleusentore mit der Handspake an der langen Zahnstange sieht richtig nach Arbeit aus. Die sportlichen Studen­tinnen sind meist aufmerksamer und hilfsbereiter als ihre männlichen Kommilitonen.

Das kommt vor allem Mr. Quantz zugute, einem allein segelnden Briten. Ich sage darüber etwas zu ihm; er meint ganz cool: „I noticed it“. Er ist überrascht als ich ihn frage, ob er aus der Familie des Potsdamer Musikers stammt, der mit Friedrich dem Großen die Flöte spielte.

 

Vor lauter Begeisterung über “the third person in my life who knows about Quantz – that one with the flute, you know” erfahre ich es nicht wirklich. Denn gleichzeitig will er natürlich mit der flirtigen Schleusenfee chatten.

In der Morgensonne geht es weiter im 5er-Pack durch Brücken und Schleusen: mit uns außer Quantz auch ein bizarrer Motor­boot-Schwede, der angeblich schon zwei Bücher über den Göta Kanal geschrieben hat und viel fotogra­fiert, zwei kauzige schwed­ische Segler – es sieht nach Männerehe aus – mit unsichtbaren Katzen, ein Seebär aus Friesland mit einer über­dimen­sio­nalen Elektronik-Säule im Cockpit, an der sein Bauch nicht recht vorbei will. Als letztes Boot müssen wir etwas drängeln, um vom hinteren Schleusentor frei zu bleiben. Die vorne fürchten sich wohl vorm einströmenden Wildwasser.

 

Seitwärts im manchmal tiefer liegenden Land sieht man eine kleine Kolonne von Reitern. Unter den Reiterhelmen verbergen sich sicher mehr junge Frauen als Männer. Auch Radler benutzen gerne die alten Treidelwege am Kanal bei ihren Touren. Sei grüßen so freundlich wie es sonst die Bootsleute meist nur untereinander tun.

 

Asplången und Roxen

 

Im Asplångensee scheren wir aus, weil das Wetter zum Baden einlädt. So verlieren wir unsere Gefährten. Später mogeln wir uns in einen anderen Pulk , hinter einer schwe­dischen Kleinfamilie mit Gitarre spielendem Chef.

 

Bei Norsholm herrscht so viel Zugver­kehr, dass es längere Wartezeit in der Schleuse vor der Brücke gibt. Die netten Schleuserinnen, die gleichzeitig die Eisenbahn-Klapp­brücke bedienen, haben Schwie­rigkeiten, ein OK zum Öffnen der Brücke zu erhalten. Der Gitarren-Schwede macht indessen Musik in dem sonnen­warmen Schleusen­kasten: „I am the front man ...“. Dann will er uns aus der Reserve locken mit „Mein Hut, das hat drei Kanten....“

 

Der von Wald umgebene Roxen liegt spiegelnd in der Flaute. Dag schwimmt mit der Videokamera um das kaum merklich segelnde Boot herum. Wir nähern uns vorsichtig einer kleinen Schäre voller kahler Bäume, die scharenweise von Kormoranen bevölkert ist. Haben die Kormorane beim Nestbau die Bäume entlaubt oder kahl geätzt?

 

Wir steuern nach Linköping in ein verschlungenes Schilf­revier und den fast leeren, etwas verrot­teten Gästhamn, der voller Seerosen ist. Am gammeligen Infobrett kann man immerhin eine Kontonummer lesen, auf die man Liegegeld überweisen könnte! Es sieht so aus als sei der Seglerhafen früher in der Stadt gewesen, musste aber nach dem Bau einer Autobahnpiste mit niedriger Brücke zwischen Roxen und Stadt seewärts verlegt werden. Da haben dann vielleicht die Autobahnbauer einfach seewärts ein Viereck ausgehoben, Pfähle und Steganlage gesetzt und sind abgezogen. Danach haben dann Seerosen das Hafenbecken besetzt.

 

In Linköping telefo­nieren wir viel, weil unser einzig intaktes Handy durch Missverständnisse beim Weitersagen des PIN gesperrt ist. Doch dann findet zuhause die clevere Sunay, mein charmanter house keeper, den PUK. Die Telefonwelt ist wieder in Ordnung. Wir gehen in Linköpings „Brezelstraße“ essen - viele Teenies stellen sich da zur Schau. Zur Feier des Sieges über das Telefon gibt es Pizze. Als ich irgendwann den Rückzug vorschlage ist Dag sicht­lich ungehalten - bei so viel knusprigem Ambiente!

 

Die Schleusentreppe von Berg

 

 

An der Schleusen­treppe lagert beiderseits der sieben Schleusen viel, meist junges Badevolk. Es gibt also doch Schweden in Schweden, besonders Schwedinnen. Hier kann man sie in leichter Sommer­laune betrachten. Nur die offizielle Schleusen­maid ist vorschriftsmäßig mit Schwimm­weste getakelt. Wir warten bis der alte Kanaldampfer Juno, Baujahr 1874, die Treppe herunter geschleust ist. Dann geht es aufwärts. Dabei ist auch ein Kieler Uni-Boot mit Studentin. Als wir abends beisammen hinter einer kleinen Brücke festmachen sagt sie ihren Jungs, sie käme nicht mit an Land, sie habe hier so nette Gesellschaft. Das ist Öl auf unsere alten Lampen!

 

Dag versucht derweil, seine im Auto anreisende June und Sohn Kai telefonisch herbei zu lotsen als die schon ganz in der Nähe sind. Der Göta Kanal führt hier über ein „akvedukt“. An der Kanalböschung ist in riesiger Blumenschrift „GÖTA KANAL“ quer über die Strasse gepflanzt. Diese Stelle halten wir für einen trefflichen Treffpunkt. Aber das unermüdliche Auto, das seit den frühesten Morgenstunden schon fast 1200km hinter sich hat, will nicht halten. Es braust unter dem Kanal hindurch – Blumenschrift hin oder her. Irgendwann aber schafft das wiedergeborene Handy das Auto herbei.

 

Boren See

 

Bei Borensberg am Boren See sieht man wie heftig der Motalaström strömt. Die Kanalbauer haben ihren Kanal dicht neben dem natürlichen Gewässer gebaut. Wasser ist hier so reichlich, dass es auch oft über die Oberkanten der Schleusentore strömt. Ein am Kanal liegendes Trockendock beginnt so voll zu laufen.

Dag und June wollen mit ihrem Jüngling eine Woche Landurlaub mit Schärenhütte und Stockholmbesuch machen. Ich schippere derweil im lauen Sommerwind über den See, ankere mal hier mal da zum Baden in einfach traumhaftem Sommerwetter. In der Ruhe fällt besonders auf, dass es so wenig Schweden gibt. Sonst sähe man sie ja beim Segeln oder Angeln.

 

Hier finde ich endlich heraus wie ich meine alten, eingescannten Binnenkarten im Laptop kalibrieren muss, damit das virtuelle Boot nicht auch mal an Land herum schwimmt. (Früher lagen in Schweden Längen- und Breitengrade woanders!)

 

An der Borenshult Schleuse vor Motala kommt im Abenddämmer, lange nach der Schleusenzeit, der 90 Jahre alte Ex-Dampfer „Wilhelm Tham“ ein.

 

Auf dem erleuchteten Schiff ist Party. Drinnen werden Reden gehalten, man lacht und trinkt, niemand sieht hinaus. Mir fällt dabei ein verwunschenes Kava­liers­haus irgendeiner Lagerlöff-Erzäh­lung ein, worin Leute aus einer vergessenen Zeit leben. Dann kommt Henk, Solo-Fagottist, mit großen Rucksack daher und die Schleusen­fahrt kann weiter gehen.

 

Am Morgen sehen wir in Motala am Vättern See „Mein Hut, das hat drei Kanten ...“ wieder. Aber wie hat sich die Lage dieser munteren Familie verändert! Er wird von seiner Frau gestützt an Krücken an Land gebracht und später wieder an Bord bugsiert. Sie müssen schon Tage hier sein. Das Boot ist zugehängt mit Persenningen und  Zubehör – als ob eine Expedition hier überwintern will.

 

Vättern

 

Beim Vadstena Slott machen wir direkt im Schlossgraben fest. Aus den Schlossfenstern sieht man auf die Boote, riesige Bäume und den langen Strand. Hier wurden früher die Schlossmauern geplündert, um die Hafenmole zu bauen. Wir queren den 135 km langen Vättern. Karten haben wir nur für die Überfahrt. So machen wir lieber keinen Versuch, den See zu erkunden – eigent­lich schade. In Karlsborg, auf der Westseite des Vättern haben wir die nächste Verabredung und einen Wartetag, denn wir sind dem Zeitplan voraus.

 

Das kommt gelegen, Henk hat Geburtstag. Die schwedische Nation grüßt ihn mit einem kleinen Blumenstrauß von der Uferbö­schung, präsentiert im dänischen Marmeladen­eimer. In einem Schapp findet sich „just in time“ ein Richard Strauß Buch in Geschenkpapier. Offenbar hatte es Dag für diesen Anlaß hinterlassen.

 

Danach durch­streifen wir die Festung Karlsborg im Kielwasser einer eifrigen kleinen Schwedin mit Lämpchen im Haar. Es geht durch stock­finstere Gänge der Wallanlagen mit elektronischer Geräusch­kulisse á la Geisterbahn. Mittags taucht John auf, TV-Kammera­mann. Nun sind wir zu dritt und es wird noch ein bisschen gefeiert.

 

Forsvik und Viken

 

Nächstes Ziel ist das alte „Industriezentrum“ Forsvik, das für den Kanalbau so wichtig war. In Forsvik durchstreifen wir das beschau­liche Museum mit der kleinen Holz­dampfer­werft. Sie bauen hier den in alten Zeiten im Vättern gesunkenen, hölzernen Raddampfer nach.

 

In der kleinen Werfthalle, einem Backsteinbau, riecht es nach Bootsbau und man grübelt wie sie bloß das große Ding einmal hinausrutschen lassen wollen.

 

Danach gibt es SOS Lunch. SOS bedeutet „Smör, Ost, Sill“. Gerüchten zufolge soll es auch manchmal als „Snaps, Ost, Sill“ verstanden werden. Uns wird auf der Wiese unter alten Obstbäumen direkt an der alten Schleuse serviert. Nun geht die Fahrt durch das 92 m hoch liegende Viken, in dem alte Treidelmauern mit Pollern herumstehen. Rundum dichter Wald und verzauberte Landschaft – fast menschen­leer. Es ist wohl der schönste Teil der ganzen Passage. Ab und zu gibt es enge Durchfahrten.

 

Das Viken verläuft im Zickzack mit allerhand Inselchen. Wir passieren „Lanthöjden“, den „höchsten Punkt“ der Wasserstrasse. Einmal abends umschwimmen uns zwei aufmerksam äugende Otter.

 

Später in einer engen, gewundenen Kanalstrecke steht im Wald eine der Schlafhütten mit WC für Kanuten und Wanderer wie eine überdimensionale Hundehütte.

Hin und wieder passieren wir recht alte, schmale Schiebebrücken, auf denen gerade zwei Auto Platz haben. Manchmal hängen badende Mädchen darunter, die sich schnell ins Wasser plumpsen lassen und ans Ufer klettern, wenn die fernbediente Brücke anfängt sich zu bewegen.

 

Abends vor einer Schleuse kommen unsere Landratten zu Besuch und berichten von Stockholm und schönen Tagen in einer Schärenhütte im St. Anna Skärgård. Bis Sjötorp, wo der Göta Kanal endet, begleiten sie uns. Später stehen sie als Zwerge über uns auf der Torsö Sund Brücke als wir auf dem Vänern nach Mariestad segeln.

 


Am Vänern

 

In Sjötorp entlässt uns die letzte Schleuse des Göta Kanal in den Vänern. Auf dem Vänern ist richtig Wind. Es geht ziemlich auf und ab; aber bei schönstem Sonnenwetter. Im Torsö Sund nach Mariestad zu wird es ruhiger.

 

In Lidköping erwarten wir Nick, Bühnenfotograf. Schon einmal ist er so auf einem Segeltörn zu uns gestoßen. Das war als wir mit einem alten Klinkerboot in Dänemark umhersegelten, 40 Jahre ist es her. Damals kam er mit dem Motor­roller und hatte sich bei der Fahrt durch die DDR die Hose zerrissen. Diesmal hat er ein elegantes, kleines Auto voller Elektronik – den Motorroller, die Hose und die DDR gibt es nicht mehr.

 

Er kommt von Göteborg. Henk, der nicht länger bleiben kann, wird das Auto überneh­men und damit wieder bis Göteborg fahren – zum Flugzeug.

 

Henk sieht noch einmal über den Vänern und den Kinnekullen, einen 300m hohen Berg, von dem eiszeitliche Schleif­spuren nach Schleswig-Holstein führen.

 

Als Drei-Brüder-Crew segeln wir dann ohne ihn an Kålland und Kållandsö entlang zum Schloss Läckö im Ekens Skärgård. Abends soll es im Schloss Donizetti’s „Don Pasquale“ geben.

Aber wir segeln weiter nach Spiken. Hier ist Weekend-Betrieb mit Angeltou­risten, Fischbuden, Eis, auch zwei Altrockerpärchen in schwarzem Leder, die ihre Motorräder in den Schatten der Bäume gestellt haben.

 

Wir betrachten bei Wein und guter Laune von einem Schärenbuckel in aller Ruhe das Treiben und die schilfige Bucht.

 


Hindens Rev und die Eiszeit

 

Quer durch den südwestlichen Vänern verläuft Hindens Rev, eine stellenweise nur ein paar Meter breite, 7 km lange Landzunge (Moräne).

 

Vor 11 000 Jahren verschob sich mit dem Rückzug der letzten Eiszeit die Eiskante nach Norden. Als sie diesen Teil des Vänern erreicht hatte, wurde es wieder kälter, und das Eis lag Jahrhunderte still. Das führte zur Ablagerung von Steinen, Kies und Sand in einem Streifen an der Eiskante – Hindens Rev. Mit dem Rückgang des Eises begann das Land aus dem Meer aufzu­tauchen.

 

Anfangs war der Vänern noch eine Meeresbucht, doch vor etwa 9000 Jahren war die Landerhöhung so groß, dass diese Meeresbucht zum See wurde. Der Abfluss zum Meer wurde zum Göta Älv. Die Landerhöhung hält auch heute noch an.

 

An der Westseite des Vänern steuern wir Dahlbergså an und machen Bekanntschaft mit einem unsichtbaren Felsen. Denn der Navigator nestelt gerade sonnen­trunken am Segel herum, während Neuling Nick an der Pinne nichts Böses ahnt. Er fragt gerade: „Soll ich zwischen den Stöcken da durch?“ als es auch schon knirscht – nun ist auch er ein „Schärenschleifer“. Aber ein Stahlboot hat damit kaum ein Problem.

 

Am nächsten Mittag ankern wir in der schönen Bucht von Sikhallsviken an einer idyllischen Insel mit Häuschen und Badenixe. Am Strand gegenüber ist munteres Badeleben. Es ist so heiß, dass wir uns wieder mit einem Sonnensegel schützen.

 

Aber auch aus Berlin kommt nun eine SMS „Wir schmelzen (33°)!“. Vor dem Wind geht es nach Vänersborg. Der Mast pinselt in dem blauen Himmel hin und her.

 

Trollhättan

 

Wir wollen natürlich die Trollhätte Fälle sehen, ohne so recht zu wissen was uns erwartet. Trollhätte bedeutet „Trollmützchen“. Dort, am Ort der Fälle, ist alles öd und leer. Vielleicht fällt der Fall erst nachmittags? Keiner weiß es so richtig. Nachbar­bootleute kolportieren verschiedene Gerüchte. Es erweist sich später als: Mi+Sa/So 15.00. Heute ist Mi.

 

In der Wartezeit gehen wir sehr vornehm essen im schattigen Dämmer eines schlösschenartigen Gebäudes mit feinen klassi­zistischen Möbeln, das sich als Folkhus erweist. Das schöne Buffet mit freier Auswahl ist erstaunlich billig.

 

Um 15.00 geht es wirklich los am Fall vor Hunderten von sich drängen­den Menschen auf der Kong Oskar Bro und den umge­benden Befestigungsbauten. Zuerst werden weit weg ein paar Klappen geöffnet, die Schaum ins steinerne Bett sprudeln lassen.

Langsam begräbt die Flut den friedlichen Stein­gar­ten – und mit ihm vermutlich Tausende von kleinen Lebewesen – jede Woche ein paar mal für die Touristen. Es wird immer brau­sender, schließlich auch unter uns, die wir auf der Bro stehen.

 

Es ist windig und etwas kühl hier oben. Manch einer ist so gut gepolstert, daß ihm das nichts ausmacht. Aber einige mutig dekolletierte Damen frieren.Wo bleiben die Jacketts der Kavaliere?

Nach kaum mehr als fünfzehn Minuten ist der Rausch vorbei, das Wasser treibt wieder unsichtbare Turbinen an, nur noch Bäche strömen zu Tal und das Volk verliert sich.


Im letzten Abendlicht kommt ein stolzer Dreimastschoner an die gegenüberliegende Pier.

 

Dort sind auch allerlei „Restaurangs“ oder Kneipen mit Terrasse. Junges Volk scheint sich dort wohl zu fühlen.

 

Die Türme der effektvoll beleuchteten Hubbrücke wirken nachts wie japanische Pagoden.

 

Die großen Schilder mit den Meterangaben für die gerade erreichte Hubhöhe erscheinen nun wie schmückende Schriftzeichen.

 

Die „neuen“ Schleusen des Trollhätte Kanals wirken nach den gemütlichen alten Schleusen des Göta Kanals nun vom kleinen Boot aus gewaltig. Hier bleibt leicht mal ein Tampen in einer der weit auseinander liegenden Festmacheklampen hängen, wenn man nicht gut aufpaßt.

 

Hier gibt es auch Berufsschiffahrt. Davon sehen wir aber nur sehr wenig.

Göta Älv

 

Im Göta Älv wundern wir uns über die einarmigen Begrenzungsdalben, die uns ihre von Vögeln bekleckerten Blechtafeln vor die Nase halten. Auf dem Weg nach Süden geht es rapide abwärts durch die Vierer-Schleusen mit insgesamt 32,5m Hub. Zwischendurch gibt es einen schönen Aus­blick über die tieferliegende Älv Land­schaft.

 

Mit uns schleust ein alter Ami mit jüngerer Dame und Töchterchen. Er sieht aus wie ein Berkeley Prof. Wegen des amerikani­schen Heimat­hafens frage ich die Lady, ob sie über den großen Teich gesegelt seien. Sie lacht amü­siert. Nein, sie haben immer ein Boot nahe Göteborg liegen.

 

Der stellenweise breite Göta Älv führt fast nur durch grüne und waldige Ufer ist aber vergleichs­weise langweiliger als der manchmal zauberische Göta Kanal und die Seen. Irgendwo hängt ca. 10m über dem Älv eine Bootswerft im steilen Hang. Boote können von dort wohl nur abgeseilt werden.

 

Nach der Schleuse bei Lilla Edet, der allerletzten Schleuse dieser Fahrt quer durch Schweden, steuern wir in einen Arm des Kung Älv, der vom Göta Älv abzweigt, um in einem kleinen, strömenden Neben­fahr­wasser festzumachen, unterhalb der Festung Bohus aus dem 14. Jahrhundert. Von Bohus hat man einen wunder­schönen Blick über den Kung Älv.

 

  Göteborg

 

Jöte“ spricht Elfie es aus, eine schwedische Bekannte. Wir machen fest in Lilla Bommen, mitten in der Stadt. Es gibt etwas Aufregung, weil einkommende Boote sich mit dem Ruder in unserer Mooring­leine verha­ken und sie dann einfach loswerfen. Wir liegen direkt vor dem gewöh­nungs­be­dürftigen Opernhaus. Nick gefällt es aber als er nächtens mit einem Glas Rotwein aus dem Operncafé bei herrlicher klassischer Musik in dem hochmoder­nen Haus herum­spaziert. Draußen dröhnt dagegen bis Mitternacht eine Band vom imposanten Rahsegler „Viking“, dessen Klüverbaum über die Lilla Bommen Einfahrt ragt.


Zum Abschied genießen wir einen Sonntag mit Schären­segelei vor Göteborg. Hier ist man beim Segeln nicht mehr so allein wie auf den großen Seen. Beim Ankern in einer Art Naturhafen aus kleinen Schären liegen und hüpfen ringsum auf den Felsen allerlei Bikini-Mädchen herum. Die sonnenbe­heiz­ten Buckel laden wirklich dazu ein. Bei brütender Sonne wird natürlich viel gebadet. Das Wasser ist sehr klar, man sieht den felsigen Grund unter dem Boot. Als wir später wieder Kurs nehmen auf Göteborg, verfolgen uns kecke, segelnde Mädchen­crews mit dem Ruf: „Hallo, hallo, ich lieb’ Dich!“ John pinniert und – standhaft wie Odysseus – dreht er sich nicht nach diesen Sirenen um. Wir ziehen ihn damit auf. Er meint nur: „Ich hab’ die ja nicht mal gesehen.“ Der nächste Morgen hält, was die vergangenen Tage versprachen – wunderbares Wetter, leichter Ostwind. John und Nick verlassen mich mit Flugzeug und Fähre.

 

Abschied von Schweden

 

Die See ist ruhig. Noch einmal gleite ich – nun einhand – langsam durch die schöne Schären­landschaft vor Göteborg, vorbei an ein paar letzten Felsrücken auf die offene See des nörd­li­chen Kattegat, das mich sehr freundlich empfängt. Ich nehme Kurs auf Læsø, diesen vergleichs­weise flachen Sand­haufen mitten im Kattegat. In Østerby gibt es als Einstim­mung auf Dänemark einen sehens­werten Sonnen­unter­gang über dem weiten Kattegat.

 

Eine Woche später liegt das Boot in Eckernförde nach gut 1000sm, gesegelt und getuckert.

 

In einem Satz

 

Schären, Felsbuckel, Wald, Seen, kein Unrat, viel Sonne, lange Tage, ein paar coole Schweden, freimütige Schwedinnen - unvergessliche Sommerschönheit.